Heute morgen die Nachricht, dass der griechische Staatsbankrott immer wahrscheinlicher wird. Die Regierung hangelt sich schon seit Wochen von einer Umschuldungs-Deadline zur nächsten. Andere Euro-Staaten bereiten sich auf den „Grexit“, den Austritt Griechenlands aus der Währungsunion, vor. Die Schuldfrage scheint eindeutig: Verantwortungslose Eliten haben über Jahrzehnte ihre Klientelbeziehungen mit geliehenem Geld finanziert; die Investitionen in eine moderne Wirtschaft wurden vom Staat nicht gemacht. Die Griechen haben damals diese Eliten gewählt; ebenso wie sie nun die Links-Regierung gewählt haben, die mit populistischen Sprüchen die Konzeptlosigkeit bezüglich ihrer Staatskrise überspielt. Das Vertrauen so gut wie aller internationalen Partner wurde durch taktische Spielchen so beschädigt, dass keine Zusammenarbeit mehr möglich scheint. Die privaten Rating-Agenturen haben die Staatsanleihen jetzt schon im niedrigsten Ramsch-Niveau eingestuft.
Die Folgen eines Grexit für Europa wären jenseits der eigentlichen Wirtschaftspolitik verheerend. Der Diskurs einer freien Gesellschaft lebt von selbstbewussten Akteuren. Der Grexit bedeutet in Griechenland auch den Totalverlust aller Sparvermögen: Ohne eigene finanzielle Basis geraten die Bürger noch mehr in den Strudel von Abhängigkeiten. Mag der Klientelismus in Griechenland (negative) Tradition haben, wird sie durch den Vermögensverlust nur noch beschleunigt. Nach dem Erlebnis eines Verlustes alles Geldvermögen sind manche politische Maßnahmen einfach nicht mehr durchführbar. Auch in Deutschland etwa ist die wirtschaftspolitische Stellschraube der Inflation kaum anwendbar, da es die kollektive Erinnerungen an die Währungsverluste von 1929 und 1948 noch gibt. Auch das aktuelle russische Beispiel könnte als Beleg für die These genannt werden. Mag die Wirtschaft sich in den 15 Jahren nach dem Währungssturz von 1998 erholt haben – die Menschen haben es scheinbar nicht. Der Putinismus bedient die zwei Fallen für eine solche Gesellschaft, der es an finanziell eigenständigen Akteuren mangelt:
- Eine wirtschaftliche Abhängigkeit durch die Verteilung der Gelder von oben, die das Volks zu Rentenempfängern macht. Die fehlende Diversifizierung der Wirtschaft angesichts der großen Gewinne staatlicher Unternehmen aus dem Verkauf von Öl und Gas sind ein eindeutiges Indiz.
- Die Anfälligkeit für politische Heilsversprechen und das Bild eines Feind, der von Außen kommt. Die prekäre Situation großer Bevölkerungsteile macht es leicht, historische Referenzen besserer Zeiten umzudeuten und zu instrumentalisieren. Der russische Nationalismus passt kaum zum Geist des Vielvölkerstaates Sowjetunion, der Vergleich zum Feindesdenken während der strauchelnden Weimarer Republik drängt sich aber auf.
Die Universitäten Griechenlands folgen einem Freiheitsnarrativ, aus dem auch Widerstand gegen die Militärdiktatur entstanden ist. Ob angesichts existentieller Erfahrungen überhaupt noch Debatten über die besseren Konzepte geführt werden? Erst der Vermögensverlust aller Sparvermögen in Griechenland ist die mentale Katastrophe. Historische Erfahrungen in anderen Ländern lassen es als nicht wahrscheinlich erscheinen, dass einem solchen Schock eine nüchterne Aufarbeitung der hausgemachten Ursachen folgen würde. So wie die Parteien der Weimarer Republik sich in der Ablehnung des Vertrages von Versailles einig waren, sind es die Griechen in der Beurteilung „der Troika“. Der Grexit wäre über Jahrzehnte eine Katastrophe für das nüchterne und unbefangene Argument.